Lasst doch die Häuser erzählen…Dorfgeschichten über das Bergsteigerdorf Schleching im Chiemgau auf 72 Hoftafeln – Heimatpfleger Hartmut Rihl und eine besondere Passion
Schleching – 52 Zentimeter in der Breite und rund 44 Zentimeter in der Höhe. Einheitlich in einem beige Farbton auf wetterfesten Platten bedruckt und über das gesamte Gebiet unserer Gemeinde verstreut. Derzeit sind es 72 mit äußerster Akribie fein säuberlich beschriftete Schilder, die Einblick in die wechselhafte Geschichte des Dorfes. In Schleching, wo auch heute noch viele eingesessenen Familien im Dorf nicht mit dem offiziellen Nachnamen, sondern oft mit dem Namen ihres Hauses angesprochen werden, erzählen Tafeln vom Schicksal der historischen Gebäude und der Menschen, die im Laufe der Jahrhunderte dort ein Zuhause gefunden hatten und deren Nachfahren zum Teil auch heute noch dort leben. Zeugnisse einer bewegten Geschichte, die bis ins Jahr 1135 zurück geht, als die Ortschaft an der Tiroler Ache erstmals urkundlich erwähnt wurde.
Zusammengetragen und individuell aufbereitet wurden die jeweiligen Dokumentationen über Jahrzehnte von Schlechings Ehrenbürger Hartmut Rihl. Eine Arbeit, die sich heute nur schwerlich in Stunden erfassen lässt, denn hinter jeder einzelnen Tafel stecken ebenso mühevolle wie aufwendige Recherchen. Ganze Tage hat der Ortsheimatpfleger bereits als junger Lehrer in den staatlichen Archiven des Freistaates in München, in Pfarrämtern, Klöstern und kirchlichen Archiven verbracht, um die Geschichte seines Dorfes aufzuarbeiten. Um aus Urkunden, Kirchenbüchern oder Matrikeln, aus Grundbüchern, historischen Katasteraufzeichnungen und vielen anderen Dokumenten zu ermitteln, welche Geschichte sich in den Wohnhäusern und Höfen, welche Schicksale sich hinter den Fassaden verbergen. Als eine der wichtigen Quellen dienten dem Heimatforscher so unter anderem die Verzeichnisse über Besitzrechte der Grundherrschaft und die Abgabenregister und Steuerlisten über zu erbringende Leistungen ihrer Grunduntertanen. Und das zu einer Zeit, in der dem Heimatforscher weder ein Fotokopierer noch andere technische Hilfsmittel zur Verfügung standen.
„Aus heutiger Sicht war es eine Sisyphusarbeit – ich habe damals jede Information handschriftlich aus den mir zur Verfügung stehenden Quellen übertragen“, versucht Hartmut Rihl den Aufwand zu beschreiben, der hinter der Dokumentation steht. Doch von einer Mühe oder gar Qual bei der Recherche will der Ehrenbürger seiner Gemeinde nichts wissen. Es sei sein Onkel Vinzenz Bachmann gewesen, der ihn mit der Leidenschaft für die Geschichte des Dorfes „infiziert“ habe und den er bei seinen Recherchen über Jahre habe begleiten dürfe. Von dem bekannten Baumeister übernahm Hartmut Rihl 1974 das Amt des Ortsheimatpflegers. Dem Projekt der Hoftafeln nahm sich das „wandelnde Gedächtnis Schlechings“, wie er liebevoll genannt wird, im Jahre 2007 an. „Ich habe im ersten Schritt alle historisch relevanten Gebäude unseres Dorfes definiert und dann rund 100 Familien und Hausbesitzer angeschrieben und angefragt, ob Interesse an einer Hoftafel besteht. Die Kosten in Höhe von rund 100 Euro je Tafel teilten sich die Hausbesitzer und das Amt für ländliche Entwicklung im Rahmen der Dorferneuerung; die Dokumentation übernahm Hartmut Rihl ehrenamtlich. Bis heute sind es 72 Hoftafeln – jede von ihnen steht für umfangreiche Recherchen, für weitere Besuche in Archiven und nicht zuletzt für zahlreiche Gespräche mit den jeweiligen Besitzern der Höfe und historischen Gebäude. „Es hat in einigen Fällen Monate gedauert, bis wir uns auf die finale Fassung der jeweiligen Hoftafel mit allen Beteiligten verständigt haben“, berichtet Hartmut Rihl.
15 Jahre nach Beginn des Projektes ist die Arbeit abgeschlossen. „Es gibt durchaus noch Gebäude im Dorf, die wir gern mit einer Hoftafel aufgenommen hätten“, so der Ortstheimatpfleger. Aber es gäbe auch immer wieder Hausbesitzer, die keinen Wert darauf legten, die Geschichte ihres Gebäudes öffentlich dokumentieren zu lassen. Auch wenn es zu bedauern ist – er müsse damit leben, dass sein Werk wohl niemals ganz vollständig werde. Unstrittig dagegen: mit seiner Passion, die Geschichte seines Dorfes sichtbar zu machen, hat Hartmut Rihl selbst Geschichte geschrieben und für Generationen Spuren hinterlassen.
Text: thw